Als wollte es keine Zeit verlieren, startete das YOUR STAGE! an seinem zweiten Tag direkt um 10 Uhr voll durch mit viel Theater in kurzer Zeit. Wenn ein Festival eine Werkschau im Programm anbietet, bedeutet das, dass es auf kurzen Zeitraum gesehen viele spannende Einblicke gibt in Theaterstücke, die ihre Arbeit nur kurz anteasern und Lust machen wollen auf mehr.
Das YOUR STAGE! bietet mit seiner Werkschau also Theatergruppen die Möglichkeit, kurze Ausschnitte aus ihren Arbeiten zu zeigen und macht damit zudem deutlich, dass es wirklich allen eine Bühne bieten kann, auch, wenn sie mit ihrem Theaterprojekt noch nicht fertiggeprobt haben sollten.
Und so kamen am gestrigen Morgen im Schauspielhaus auf der großen Bühne Schüler*innen aus vier Schulen mit insgesamt sechs Projekten zusammen und zeigten erneut, dass sie die große Profibühne ohne große Probleme für sich vereinnahmen konnten.
Den Start machte der Q1-VIP-Kurs des Pascal-Gymnasium aus Grevenbroich mit Einblicken in sein Dracula-Musical. VIP steht hierbei für „vokal-instrumental-praktischer Kurs“ und bildete so eine große Schülergruppe, die Schauspiel, Tanz und Gesang einerseits, das eigene Orchester andererseits selbst besetzen. Der VIP-Kurs zeigte kurze Szenen mit locker-lustigem Slapstick und performte sodann noch einen ansehnlichen Reigentanz samt Ensemble-Gesang, der sich sehen und hören lassen konnte.
Im Anschluss, gab es, ebenfalls vom Pascal-Gymnasium, Grevenbroich „Keine Ballade? Schade!“. Hierbei bewiesen die Sechstklässler, dass Gedichte keinesfalls etwas Langweiliges sind. Obwohl noch so jung, entwickelten die jungen Vortragenden ein wirklich präzises Gefühl für verschiedene Stimmungen in den Gedichten, die das Publikum teilweise, geprägt von seiner eigenen Schulzeit, sicherlich auch mitsprechen konnte. Oder gibt es wahrlich jemanden, der bei „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland…“ oder „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ nicht direkt mitsprechen möchte? Unterstützt wurden die gespielten Gedichte von einer spannenden Live-Soundkulisse, die Schüler mit unterschiedlichsten Gegenständen vor Mikrophonen kreierten und den Gedichten damit eine ganz eigene, stimmungsvolle Note verliehen.
Dass das YOUR STAGE!-Festival ganz im Zeichen der eigenen Identitätsfindung steht, bewiesen auch die Produktionen der Gesamtschule Norf. Die Einblicke, die die siebte Klasse der Schule in ihre Arbeiten aus dem Wahlpflichtfach „Darstellen und Gestalten“ bot, kreisten allesamt um angespannte Familienverhältnisse. Konflikte in Familien entstehen schnell. Vielleicht bei einem schlechten Halbjahreszeugnis oder aber, wenn die Tochter mit ihrem Freund zusammenziehen will. Dass dies nicht unbedingt immer im Zank enden muss und Familien an solchen Situationen auch erstarken können, zeigen uns die Siebtklässler sowohl mit ernstem Spiel als auch mit dem einen oder anderen humoristischen Element.
Mit der Frage des Erwachsenwerdens beschäftigte sich der Wahlpflichtbereich „Darstellen und Gestalten“ der neunten Klasse der Gesamtschule Norf. In ihrer Interpretation von Lewis Carrolls Nonsens-Kinderbuch-Klassiker „Alice im Wunderland“. Alice in die Schule versetzend und das Stück mit eigenen autobiografischen Elementen verfeinernd verarbeiten die Schülerinnen und Schüler hier eine Ich-Suche, für die sie alle Alice als Vorreiterin ins Feld schicken. Sehr ansehnlich gespielt und zudem ausgestattet mit wirklich coolen Kostümen!
In „Ein Alptraum wird wahr“ beschäftigen sich die Schüler*innen der siebten Klasse der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule mit einem Thema, das leider zum Alltag in jeder Schule gehört: Mobbing! Auf der Party betrinkt sich Ella eher unfreiwillig so sehr, dass sie einschläft und von Mitschülern fotografiert wird. Das Foto macht schnell die Runde und alle drehen Ella den Rücken zu, sogar ihre beste Freundin. In hübsch stilisierten Szenen beweisen die Spielerinnen und Spieler aus Grevenbroich den im Theater so wichtigen Mut zur Hässlichkeit, überziehen ihre Rollen bewusst und stellen damit eine Karikatur eines Themas dar, das als Szene zwar unterhaltsam daherkommt, doch aber so ernst ist, dass die Darstellung sehr zum Nachdenken anregt.
In „Das ist doch nur ein Buch“ sind die Fünftklässler des Georg-Büchner-Gymnasiums, Kaarst ganz groß. Auf einer Pyjamaparty verschwinden plötzlich die Gastgeber, übrig bleibt nur ein Buch, das in Trollsprache geschrieben ist. In der Darstellung der mit Abstand abenteuerlichsten Übernachtungsparty, die das Theaterpublikum je gesehen hat, beweisen gerade die ganz jungen Darstellerinnen und Darsteller, dass sie den älteren Kollegen in nichts nachstehen. Wie die Profis nehmen sie die ganze Bühne ein und packen die Zuschauer mit ihrer spannenden Geschichte, bei der wir nur zu gerne gewusst hätten, wie sie ausgeht.
Die direkt aufeinander folgenden Ausschnitte aus verschiedenen Produktionen von unterschiedlichen Schulen aus einem breiten Altersspektrum machen mit Blick auf das Schülertheater eines schnell deutlich: Es gibt eine außerordentliche Vielfalt an Ansätzen, mit denen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihren Spielleitern Geschichten erzählen, singen, tanzen, performen können und Lust machen auf mehr!
Nach dieser beeindruckenden Werkschau stand der Rest des Mittags und des Nachmittags im Zeichen der Workshops für die teilnehmenden Lehrer*innen. Sie trafen sich zum Mittagessen und dann stand die Gesamtschule Norf ganz im Zeichen von Lust auf Theater.
Spielleiter der Theatergruppe poco*mania, Axel Mertens beschäftigte sich im von ihm gegebenen Workshop „Auf der Suche nach dem ‚wahren Moment‘ – Erfahrungsbezogenes Theater mit Jugendlichen“ damit, wie Jugendliche auf der Bühne authentisch wirken können. Müssen sie sich selber spielen? Können sie auch ältere Rollen verkörpern? Welche Impulse der Jugendlichen kann man in der Stückentwicklung nachhaltig verwenden?
Im zweiten Workshop „Kein Drama! Performative Theaterformen mit Jugendlichen“ erarbeitet Theaterpädagogin Nelly Sautter mit ihren Teilnehmern Ansätze im Jugendtheater, die über das übliche Sprechtheater, das auch großen Einzug in das Schultheater hält, hinaus gehen und im ersten Augenblick, besonders von Schülerinnen und Schülern gar nicht als Theater wahrgenommen werden. Den Schwerpunkt legt Sautter hier auf das Thema „Kleidung“, ließ die Teilnehmer Aktionen mit einem Kleiderhaufen ausführen und legte hierbei Wert darauf, dass alles faktisch und tatsächlich gespielt wird, eine Abkehr vom pantomimischen Spiel also.
Nach einer etwas längeren Pause gab es am Abend dann noch einmal theatrale Kost zum Nachdenken. Was würdest du machen, wenn sich wirklich unausweichlich der Weltuntergang ankündigte? Nostradamus oder die Maya haben es ja bereits oft vorausgesagt. Bisher ist nichts passiert. Was aber, wenn uns wirklich unbemerkt schon längst Außerirdische auf der Nase herumtänzeln und den Erden-Countdown auf zehn Stunden stellen?
Dieser Frage näherte sich im letzten Stück des YOUR STAGE!-Freitags die achte Klasse des Erzbischöflichen Marienberg-Gymnasiums Neuss in ihrer Inszenierung von Julia Gastels Stück „36.000 Sekunden“ und stellte einen Querschnitt der Gesellschaft dar, der im Angesicht des drohenden Jüngsten Gerichts in gewisser Weise eine Scheißegalhaltung einnimmt und lieber Weltuntergangspartys feiert oder eine Apokalypse-Shoppingtour macht. Was lustig klingt, hat sicherlich einen ernsten Hintergrund und soll den Zuschauer zum Nachdenken anregen. Schnell findet sich das Publikum hier auch in eigenen Gedankenströmen wieder. Man erwischt sich leicht bei den Gedanken, dass ein gewisser Pessimismus sich schnell einstellt und man anfängt, sein Leben vor sich und seine Geschichte hinter sich zu bedenken und ganz kritisch auf Ziele, Träume und Bucket-List schaut.
Teil 2:Die Mutter bereitet das Abendbrot vor. Die Kinder streiten sich sehr laut im Wohnzimmer. Das Halbjahreszeugnis ist gerade von der Schule ausgegeben worden. Eines der Kinder hat Angst seine Note zu verraten. Die Mutter muss wieder allein zurechtkommen und alles in der Familie regeln. Ihr Mann ruft an. Sie ist enttäuscht, dass er wieder sein Versprechen nicht gehalten hat. Die Kinder bekommen es mit. Sie beendet das Telefongespräch und erzählt den Kindern von einem Besuch im Disneyland Paris, das an diesem Wochenende stattfinden soll. Hat sie zu viel versprochen oder führt sie etwas anderes im Schilde? Leider erleben immer mehr Familien diese Probleme und die Kinder leiden am meisten. Reißt es das Familiengewebe auseinander oder entsteht eine Art Zusammenhalt als Schutz dagegen? Diese Szene beschäftigt sich mit diesem Thema und wirft für alle Beteiligten Fragen auf.
Von und mit: Lara Braun, Lea Gerard, Maxim Hanz, Ivana Ivanovic, Ariadna Buj Mayor, Luca Rittner, Max Teiber, Lina Ulich, Amira Yaalaoui
Spielleitung: Stephen Ibbotson
Foto: Paul Milde
Natürlich ist es verwegen, sich mit einem Kurs Darstellen und Gestalten der 9. Klassen an ein derartig prominentes Drama wie Hamlet zu wagen!
Unmöglich,....ohne die Reduktion auf einzelne Handlungsstränge und, ganz wichtig, die erhebliche Kürzung der enorm langen Texte und Monologe!
Aber der Stoff hat einiges zu bieten, was Schülerinnen und Schüler anspricht:
Einen innerlich zerrissenen Helden, leidenschaftlich, voller
Zweifel und Ängsten, fähig zu Liebe und Hass, ein komplexes Beziehungsgeflecht
am dänischen Hof, Intrigen und Eifersucht, Loyalität, Freundschaft und Liebe.
Gekürzt um die historische, außenpolitische Dimension, damit
beschränkt auf Familie und Freundeskreis, bleibt Sein oder Nichtsein,
(das ist) hier die Frage!
Von und mit: Alina, Aliyah, Annika, Celina, Celine, Gina, Greta, Jennifer, Joanna, Jonas, Josephine, Joyce, Leonie E., Leonie N., Liliana, Luisa, Madita, Malika, Mara, Marie, Maya, Melina, Melissa, Pauline, Rosi, Rozina, Viktoria, Yasemin, Yunus
Spielleitung: Bernd Herholz
Foto: Paul Milde